Wieviel Radschnellweg steckt im Neckarplatt?
Am Feudenheimer Neckarplatt lässt sich exemplarisch zeigen, wie unter dem Titel „Radschnellweg“ eine Autostraße durch Radfördermittel grundlegend saniert und mit Parkplätzen ausgestattet wurde.
Parallel wurde ein Sportpark konzipiert. In diesem Kontext geriet der Radschnellweg, als eigentliches Ziel der Planung, fast zur Nebensache. Dieser Eindruck wird durch die bauliche Gestaltung der Radweg-Einmündung verstärkt: Die gewünschte Geradlinigkeit und Bevorrechtigung an Knotenpunkten wird hier weniger dem Fahrrad als vielmehr dem motorisierten Verkehr gewährt.
Der neue Radschnellweg zwischen Feudenheimer Au und Schleuse führt unter der Feudenheimer Straße hindurch und mündet in das Neckarplatt. Mit Hilfe von Schildern und roter Farbe wurde die Straße durchs Neckarplatt als „unechte“ Fahrradstraße deklariert, womit sie weiterhin für den Autoverkehr freigegeben ist. Auf Höhe der Einmündung des Radschnellwegs ins Neckarplatt sind allerdings wichtige Sicherungsmaßnahmen und Qualitätsstandards für Radschnellwege nicht erfüllt. Hier werden künftig täglich rund 2.500 Radfahrende ausgebremst.
Wegen unklarer Vorfahrtsregelung und eingeschränkter Sichtverhältnisse werden vermutlich auch viele gefährdet. So wird das normalerweise dem Radverkehr zugedachte Vorrangprinzip ins Gegenteil verdreht.
Umgesetzte Planung
Die Rampe aus der Unterführung führt im scharfen Winkel in das Neckarplatt (Bild 1, links) und zwingt die Radler dadurch in eine Kurve, die sich entgegen den empfohlenen Normen dort nicht weitet, sondern in zwei verengte Fahrspuren mündet. Im Gegensatz dazu wird der Autoverkehr schnurgerade in die Fahrradstraße gelenkt. Rote Farbe auf dem Boden nützt hier wenig, wenn zudem die Sicht zwischen Fahrrad und Autoverkehr durch Parkplätze zugestellt ist. Vollkommen inakzeptabel ist vor allem, dass die in Richtung Unterführung links abbiegenden Radfahrer dem entgegenkommenden Autoverkehr Vorfahrt einräumen müssen. Und das auf einem Radschnellweg!
Erforderliche Änderung
Die Standard-Regelwerke zum Bau von Radschnellwegen (siehe im Folgenden) empfehlen mit Blick auf die grundsätzlichen Anforderungen eine „gute Erkennbarkeit und Nachvollziehbarkeit der Radverkehrsführung, insbesondere an Knotenpunkten“ (H RSV 2021: 17). Sie fordern hier „möglichst wenig Beeinträchtigung […] durch Bevorrechtigung des Radverkehrs“ gegenüber dem KfZ-Verkehr (Q RSV_BW 2022: 3). Bereits diese Grundsätze zeigen, dass die Einmündung am Neckarplatt anderen Prämissen hätte folgen müssen. Dies wird umso deutlicher, wenn man die Empfehlungen für Radschnellwege im Einzelnen betrachtet. Dann wäre eine andere Planung erforderlich. Ein möglicher Alternativentwurf ist oben skizziert (Bild 2, rechts):
Kurven und Einmündungen: Anders als an der beschriebenen Stelle jetzt umgesetzt sind Radschnellwege mit viel weitläufigeren und breiteren Kurven auszustatten. Diese Vorgaben wurden beim Bau des RSW durch die Feudenheimer Au berücksichtigt, aber haben offenbar südlich der Feudenheimer Straße plötzlich ihre Gültigkeit verloren. Da das Gebiet am Sportpark neu geplant wurde und eine freie Trassierung möglich war, sollten die Kurvenradien „mindestens 20 m“ betragen. Aber ohnehin werden auch bei Kurvenradien unter 15 m „Radwegverbreiterungen im Kurvenbereich“ empfohlen (H RSV 2021:23 und Q RSV BW 2022:4).
Mehr noch: Die Empfehlungen gehen sogar über die oben dargestellte Skizze hinaus, denn bei unübersichtlichen Kurven wie bei der Einmündung ins Neckarplatt „ist eine baulich getrennte Führung der Fahrtrichtung zu prüfen, um ein Schneiden der Kurve zu unterbinden“ (H RSV 2021: 23; Bild 11). D.h. wenn schon kein größerer Radius, dann müssten die beiden einzelnen Fahrspuren im Kurvenbereich wenigstens 6 Meter breit sein. Die Einmündung am Neckarplatt besitzt zwar am Ende der Kurve eine Fahrbahntrennung, aber die Fahrspur ist hier jeweils nur 1,90 m breit. Diese Führung ist zu eng, weshalb der gesamte Einmündungsbereich mit anderen Kurvenradien gestaltet werden müsste (siehe Bild 2).
Subjektives Sicherheitsgefühl und Bevorrechtigung: Zu den grundsätzlichen Anforderungen an Radschnellverbindungen gehört ferner, dass sie ein „hohes subjektives Sicherheitsgefühl“ vermitteln und zudem „Situationen vermeiden, in denen sich Radfahrende gefährdet oder überfordert fühlen“ (H RSV 2021: 17). Diese Gefahr scheint im Falle der Einmündung ins Neckarplatt durchaus gegeben, da hier aufgrund der Geradlinigkeit der Straße vollkommen unklar ist, ob die Verkehrsteilnehmer die Vorfahrtsregeln und Wartepflicht rechtzeitig und richtig erkennen. Besonders schwerwiegend ist die Tatsache, dass Radfahrende Richtung Norden beim Linksabbiegen zum Warten gezwungen sind, was dem Prinzip der „Bevorrechtigung des Radverkehrs“ (Q RSVBW 2022: 3) diametral widerspricht. Dies ist auch deswegen nicht akzeptabel, weil Fahrradstraßen als RSV nur dann in Betracht kommen, „wenn die Vorrangregelung an Knotenpunkten eingehalten werden“ kann (H RSV 2021: 28). Da sich die Radfahrenden i.d.R. auf eine solche Bevorrechtigung verlassen, wird das Unfallrisiko zusätzlich erhöht. Daher muss neben einer Veränderung der Straßenführungim ersten Schritt zumindest ein Stopp-Schild an diesem Knotenpunkt aufgestellt werden.
Objektive Sicherheit und Gefährdung durch Parkstände: Zur Verkehrssicherheit gehören in jedem Fall „ausreichende Sichtfelder an plangleichen Knotenpunkten“ (H RSV 2021: 17). Diese Sichtfreiheit ist an dem engkurvigen Knotenpunkt ohnehin kaum gegeben und sie entfällt fast gänzlich, wenn die am Straßenrand nördlich der RSV-Einmündung eingerichteten Stellplätze durch große Fahrzeuge belegt werden. So wird das Sichtfeld zwischen Radfahrenden, die aus der Unterführung auftauchen und den KfZ, die von der Feudenheimer Straße kommen, stark eingeschränkt. D.h. aus dem Blickwinkel der Windschutzscheibe werden die von Rechts kommenden Radler – wenn überhaupt – erst sehr spät gesehen. Daher müssen zumindest die Parkstände im unmittelbaren Umfeld der RSV-Einmündung unbedingt entfernt werden. Im Übrigen wird in den baden-württembergischen Qualitätsstandards für RSV resümiert: „In Fahrradstraßen sind grundsätzlich keine Parkstände vorzusehen“ (Q RSV BW 2022: 14).
Linienführung der Straße: Eine zentrale Gefährdung für Radfahrende besteht in der Geradlinigkeit der Straße Neckarplatt, welche die von der Feudenheimer Straße kommenden KfZ zum ungebremsten Durchfahren verleitet. Die Gefahr erhöhter Geschwindigkeit wird auch durch das vor dem Knotenpunkt angehobene Bodenniveau nicht gänzlich kompensiert. Daher ist eine Straßenführung erforderlich, deren Geradlinigkeit im Vorfeld des Knotenpunkts durch eine leichte Krümmung gebrochen wird (siehe Bild 2). Dies hätte den weiteren Vorteil, dass Autofahrer einen besseren Einblick in den Kreuzungsbereich haben.
Bisherige Kritik und Einsprüche gegen die Planung wurden abgewiesen
Die Fahrrad-Verbände (insbesondere ADFC und Bündnis Fahrradstadt), aber auch der Feudenheimer Bezirksbeirat, wurden durch die jetzt sichtbar gewordene Bauausführung überrascht. Die vom ADFC bereits am 11.11.2021 schriftlich eingereichten Änderungswünsche sowie auch die im Bezirksbeirat 2021 vorgebrachten Bedenken wurden in keiner Weise von der Verwaltung aufgegriffen.
Angemerkt sei abschließend, dass sich die Verkehrsplanung zur Begründung der umgesetzten Planung auf eine „Musterlösung“ beruft, die den „Qualitätsstandards des Landes Ba-Wü für Radschnellverbindungen“ aus dem Jahr 2018 entnommen ist. Dieser Verweis verwundert, weil sich diese Lösung auf eine völlig andere Problemlage bezieht und gar nicht auf das Neckarplatt anwendbar ist. Ohnehin ist die Musterlösung laut Verkehrsministerium explizit nur für ganz bestimmte Ausnahmefälle gedacht – und ein genauerer Blick auf die Erläuterungen zeigt, dass ein solcher Fall hier keinesfalls gegeben ist.
Empfehlungen der Regelwerke sollten nicht ständig in Frage gestellt werden. Sie gelten!
Die Kritik an der Bauausführung im Neckarplatt steht exemplarisch für eine permanent auch an anderen Stellen geführte Debatte, in welcher die Qualitätsstandards nicht (oder nur nach langem Ringen) eingehalten werden. Es kann nicht Aufgabe der Fahrradverbände und der Träger öffentlicher Belange sein, beständig die Einhaltung der Empfehlungen und Vorgaben der Regelwerke anzumahnen. Es macht keinen Sinn, dass die auf Bundes- oder Landesebene unter Beteiligung von Wissenschaft und Praxis bis ins Detail erarbeiteten Empfehlungen dann in Mannheim ignoriert oder in Frage gestellt werden!
Die permanent neu aufflammende Debatte um Standards im Radwegebau mag auch ihren Grund darin haben, dass bspw. für den Bau der Radschnellverbindung zwischen Franklin, Käfertal und Neckarplatt eine Vielzahl von Verwaltungseinheiten zuständig sind (Verkehrsplanung, Stadtraumservice, BUGA-Gesellschaft, MWSP, RNV), diese kaum RSV-Expertise besitzen. Daher braucht es eine übergeordnete Ebene der Koordinierung, durch welche die Einhaltung der Qualitätsstandards geprüft und gewährleistet wird.
René Leicht
Verwendete Regelwerke:
[H RSV 2021] Forschungsgesellschaft für Straßen und Verkehrswesen (FGSV) 2021: Hinweise zu Radschnellverbindungen und Radvorrangrouten.
[Q RSV BW 2022] Verkehrsministerium Baden-Württemberg 2022: Qualitätsstandards für Radschnellverbindungen in Baden-Württemberg, Leitfaden für Planung, Bau und Betrieb, Stuttgart.